"In längst vergangenen Tagen, als noch keine von Menschen angefertigte Liste aller Praiosläufe, Monde und Götterläufe existierte, lebte zwischen zwei Flüssen, die uns heute als Pergel und Dergel bekannt sind, damals jedoch heute längst vergessene Namen trugen, eine weithin bekannte Elfenfürstin. Vernossiel, so ihr Name, war jedoch keine normale Hochelfe - sie war von königlichem Blute, das sich angeblich bis zu den Fürsten von Mandalya und sogar Simia-der-aus-dem-Licht-trat höchstselbst zurückverfolgen ließ. Ihre Schönheit, ihr Anmut und ihr Verhalten ließen keinen Zweifel an ihrer edlen Abstammung; der Wuchs hoch und schlank, die Haut weiß wie Schnee, die fließend langen Haare glänzend gleich gesponnenem Gold, die Lippen rot wie ein Feld voller Mohnblumen und die Augen blau wie das ewige Eis. So schön und atemberaubend Vernossiels Anblick auch gewesen sein soll, der ihrer einzigen Tochter Alari soll noch viel schöner und atemberaubender gewesen sein. Ja ich sage euch; es ist nicht lästerlich wenn ich behaupte, dass der Großteil hier in der Halle sofort auf die Knie sinken würde, würde Alari in diesem Moment zur Tür herein schreiten, im Glauben, dass die leibhaftige Rahja unter uns wandelt.

Eifersüchtig habe Vernossiel ihre Tochter behütet und äonenlang vor jedem äußeren Einfluss abgeschirmt. In einem Turm aus purem Elfenbein, wie es heißt, hatte die überderisch schöne Alari ihr Dasein fristen müssen. Doch die Tochter hatte immer schon eine Schwäche für das Abenteuer und Unbekannte. Sie wollte und konnte sich nicht damit abfinden ihr Leben behütet in einem Turm verbringen zu müssen. Wie man sich denken kann – weil es in den Geschichten der alten Zeiten meistens so zugeht -, langweilten sie auch die vielen Anträge zum Seelenbund, die sie erreichten mehr als das sie ihr Interesse weckten. Und so kam es, dass Alari sich Nächtens fort stahl um durch die Weidener Lande zu streifen.

Genau zu dieser Zeit machten sich die Kundschafter des ersten Königs von Baliho, Isegrein des Alten, vom Pandlaril aus auf gen Efferd um das Land zu erkunden und zu erschließen. Der Anführer seiner Waldläufer ward Perdan, ein junger Bursche aus gutem Rommilyser Haus. Ein rechter Wildfang soll der junge Herr gewesen sein, der sich hervorragend auf die Jagd – sei es auf Rot- und Dammwild oder Weibsvolk – verstand. Bei einer nächtlichen Wanderung im Schein des Mondes hatte er sie erblickt. Badend im Fluss und im Gespräch mit einem Bieber. Perdan, so sein Begleiter, soll im Moment, da er Alari erblickte auf die Knie gesunken sein und sein Herz entbrannte sogleich in feuriger Liebe. Über Monde besuchte der Waldläufer jene Stelle am Fluss, in der Hoffnung noch einmal einen Blick auf ihre unbeschreibliche Schönheit werfen zu können.

Ein ganzes Jahr soll der junge Mann jeden Abend am Fluss ausgeharrt haben bis er Alari wieder angesichtig wurde. Bei diesem Mal ging jedoch auch seine Anwesenheit nicht an ihr vorbei. Er war unvorsichtig geworden. Nicht wissend wie lange es dauern würde bis sie wieder kam, wagte Perdan sich zu nahe an sie heran. Die Elfe war erst voll von Schreck und Furcht, doch fiel dies sogleich von ihr ab wie Herbstlaub im Wind. Zu groß war die Neugier, hatte sie doch noch nie zuvor einen Menschen erblickt. Und da auch Perdan von rahjagefälligem Wuchs war, öffnete auch die Elfe begierig ihren Mund und auch ihr Herz erbrannte in leidenschaftlicher Liebe. So kam es, dass die beiden sich im Mondschein das erste Mal liebten und als sich Vernossiel der Gefühle ihrer Tochter für einen Abkömmling eines jungen Volkes gewahr wurde, war sie voll des Zorns.

Nie mehr sollte Alari das Licht der Sonne erblicken, bis diese Laune, wie sie es nannte, verschwunden war. Um sicherzustellen, dass sich die hübsche Tochter nicht wieder davon stahl, ließ Vernossiel sie von einer riesigen Wolfskreatur bewachen, die ihr von nun an auf Schritt und Tritt folgen sollte. Eine Entwicklung, die auch vor Perdan nicht lange verborgen blieb. Die Tränen seiner Geliebten führten dazu, dass auch der Himmel weinte. Einen Mond lang soll es geregnet haben, die Ufer der Flüsse sollen übergetreten sein und die heutigen Wargenkuppen in ein Meer von Seen verwandelt haben. Der kühne Perdan wollte sich nicht damit abfinden, dass ihm seine Geliebte von deren Mutter vorenthalten wurde. Mit gegürtetem Schwert schwang er sich auf sein weißes Pferd und ritt gen dem Forst, in dem er Alari und die Wolfskreatur wusste. Bei ihrem Turm angekommen wurde der edle Recke dann erstmals mit dem Wächter seiner Geliebten konfrontiert.

Der Wolf war von eindrucksvollem Wuchs; das Fell schwarz glänzend gleich feinster Seide, der Körper schlank und kräftig, die Zähne weiß wie Schnee und Augen blau wie Tiefen des Pandlarin verliehen dem Wächter ein erhabenes, beinahe königliches Aussehen, das dem Alaris würdig war. Doch Perdan der edle Recke ließ sich vom Wargen nicht einschüchtern. Er zog sein Schwert und überwand die tobende Wolfskreatur. Aber anstatt seinen Hort zu plündern nahm Perdan nur Alari zu sich auf sein schneeweißes Ross und gemeinsam ritten sie dem Aufgang des Praiosmales entgegen. Der Warg jedoch war mitnichten überwunden und auch der Zorn Vernossiels war nun größer als je zuvor. Gleich einer nagrach´schen Jagd nahm die Wolfskreatur die Fährte auf und ließ den beiden Liebenden keinen freien Moment.

Ein ganzes Jahr lang schweiften die beiden Liebenden über Meere, Berge und durch Wälder. Inzwischen ward ihnen auch ein Kind geboren – eine Tochter, der sie den Namen Fayris gaben und die sie, stets auf der Flucht, einem befreundeten Waldläufer übergeben hatten. Dennoch sollte sich bei den beiden kein familiäres Glück einstellen. Der Häscher ihrer Mutter war unnachgiebig und grausam. Eines Tages aber, als sich Perdan und Alari schon fast ganz ihrem Unglück und der Verzweiflung hingegeben hatten und gar nicht mehr leben wollten, erschien ihnen die Herrin Rahja in der Form eines Paradiesvogels. Sie bedauerte das Schicksal der beiden Liebenden aus unterschiedlichen Welten und eröffnete ihnen einen Weg wie ihre Liebe auf ewig fortbestehen würde. Sowohl Perdan als auch Alari warfen sich dankbar auf die Knie und fielen sich in die Arme.

Die schöne Göttin verwandelte die unglücklich Verliebten in genau dieser Haltung zu Stein, dass sie auf ewig vereint sein mögen. Rund um die Beiden ließ sie einen Meer aus roten Rosen wachsen, das die beiden vor äußeren Einflüssen schützen soll. Noch heute findet sich das Abbild der beiden am Ufer des Dergels im Dorf Wargentrutz, inmitten der Rahja heiligen Rosen. Auch der Warg soll immer noch den nach ihm benannten Forst durchschreiten und die Menschen nahe des Forstes meinen gar, dass er, wenn er Alaris Blut – also direkte Abkömmlinge der Familie Welkenstein – in seiner Nähe weiß, er diese immer noch zu schützen und behüten versucht."

- die Mär von Perdan und Alari, wie sie in der Baronie Weidenhag gerne erzählt wird