Von drei Knappinnen
Beilunk, 12. Travia 1040 BF
„Erhebe Dich nun und werde erkannt, Ritterin Wesanka Grimmwulfe von Korswandt!“
Ardariel Nordfalk von Moosgrund hob den mächtigen Zweihänder Sturmrufer in die Höhe und die Umstehenden applaudierten kräftig.
Wesanka erhob sich und blickte sich um: Was für eine Gesellschaft war zusammengekommen, um ihrer Schwertleite beizuwohnen. Sie erblickte nicht nur ihre Mutter, die Gräfin von Misamund, sondern auch Herzog Bernfried von Ehrenstein und seinen Sohn Jarlak, den Grafen der Herzogsmark Tobimoria.
Ein schmucker Ritter, dachte Wesanka bei sich. Er hatte ebenfalls gerade seine Schwertleite erhalten und war dann gleich zum Grafen erhoben worden. Sie würde den zukünftigen Herzog Tobriens gut im Auge behalten. Wer mochte denn wissen, wie Rahjas Wege hier in Beilunk beschritten wurden. Sie blickte ihrer Schwertmutter in die Augen, und allein am Lächeln Ardariels konnte Wesanka ablesen, dass die Balihoerin ahnte, was ihr gerade durch den Kopf ging. Ihre Hand fiel auf den Knauf ihres neuen Schwertes, mit dem die Gräfin Balihos sie erst vor wenigen Augenblicken gegürtet hatte. Das Geschenk der Falkin des Nordens war ein herrlich austariertes Langschwert aus Ingrams Werkstatt, der Knauf war fein modeliert als Wolfskopf ausarbeitet.
Wesanka fühlte sich ein wenig betäubt, als sie die Gratulationen der Anwesenden entgegennahm und vor dem Herzog der tobrischen Lande das Knie beugte, um ihm ihre allumfassende Treue zu versichern. Bernfried lächelte leicht, neigte den Kopf und zog die junge Frau wieder auf die Beine. Mit anerkennenden Worten ließ sich der Herzog der Tobrier es sich nicht nehmen, Wesanka eigenhändig sein Gunstband an den Gürtel zu stecken, dass den doppelköpfigen Wolf zeigte. Mit weiteren anerkennenden Worten Bernfrieds reichte einer der herzoglichen Knappen Wesanka einen kostbaren Hirschfänger aus der Waffenkammer von Burg Drachenhaupt, den sie sogleich in ihr Schwertgehänge steckte. Sie verneigte sich tief und voller Dankbarkeit vor dem Herzog, der die Versammlung nach einem erneuten Nicken, vornehmlich in Richtung ihrer Schwertmutter, verließ. Auf einem Reichstag gab es viel für den Herrscher Tobriens zu besprechen.
Dann fühlte Wesanka eine leichte Hand auf ihrer Schulter und wandte sich um, nur um die lächelnde Lleara-Dhana von Yyoffrynn-Thama zu erkennen, die Baronin von Ilsur und ihre Vorgängerin als Knappin der Balihoer Gräfin. „Wohlgetan, Hochwohlgeboren. Aber es stand nichts anderes zu erwarten. Ich habe ebenfalls eine kleine Gabe für Euch, hier nehmt diese Phiole mit heiligem Wasser aus den Quellen von Ilsur. Das soll nur ein Pfand sein, dass Euch die heiligen Quellen immer offenstehen, solltet Ihr ihrer bedürfen.“
Lleara-Dhana lächelte, als sie Wesanka die kunstvolle Phiole, die an einer edlen silbernen Kette befestigt war und den Ilsurer Schwan zeigte, um den Hals hängte. „Ich bin sicher, dass Du jetzt allerdings deutlich weniger blaue Flecken haben wirst, als noch vor wenigen Wochen.“ Die goldgesprenkelten Augen der schlanken Baronin blitzen schalkhaft. „Ich danke Dir, das bedeutet mir einiges. Und ja, Du wirst Recht haben, wer sollte mich denn jetzt noch ungestraft mit einem Zweihänder über den Burghof scheuchen?“ Die beiden Ritterinnen lächelten und blickten zu ihrer Schwertmutter hinüber, die sich mit Liannen von Gobiansforst, der tobrischen Kanzlerin, unterhielt, ihren mächtigen Zweihänder Sturmrufer lässig in der Armbeuge haltend. Selbst hier, mitten in Beilunk, trug die Falkin des Nordens ihre Garether Platte. Lleara-Dhana und Wesanka nickten einander erkennend zu: „Sie wird eine neue Knappin annehmen! Und wieder wird es ein Wolfskind sein.“
Die beiden ließen ihre Blicke suchend über die Reihen der Versammelten streifen und fanden schnell, wen sie gesucht hatten. Ein wenig schüchtern stand das Mädchen wenige Schritte abseits schaute angespannt zu ihrer Mutter und der Nordfalkin hinüber. „Lass uns mal dahin gehen, ich wette, dass die Gobiansforsterin nicht umsonst so unruhig tut.“ „Nein, das wohl nicht. Weißt Du etwas über sie?“ Lleara-Dhana überlegte kurz: „Wenig nur. Ihr Name ist Revienna und sie ist die Tochter der Kanzlerin Liannen und ihres Gemahls Falkward, der ist Baron zu Tizamsquell, meine ich. Ich glaube, sie ist in Erlschwerd aufgewachsen, im Schatten des Klosters dort. Ich meine gehört zu haben, dass sie inbrünstig an den Efferddiensten dort teilgenommen hat.“ „Würde auf jeden Fall zu diesem Windamulett passen, dass sie trägt.“
Die beiden Ritterinnen musterten das Mädchen, das vielleicht 14 Jahre alt war und ihre Mutter kaum verleugnen konnte. Sie hatte dieselben kastanienbraunen Haare, deren Locken ihr lang auf den Rücken fielen. Sie war eher athletisch und eher klein gewachsen, vielleicht 1,65 Schritt groß. Aber ihre Statur verriet, dass sie noch wachsen würde. Ihre Augen leuchteten in einem warmen grün-braun unter dunklen Brauen hervor und ihr Gesicht war noch etwas rundlich. Sie trug ein einfaches dunkelblaues Kleid, darüber eine elegant geschnittene Weste, die mit Wolfsfell gefüttert war. An ihrem Gürtel hingen nur ein Beutel und ein Essmesser. Jetzt fiel ihr Blick auf die beiden jungen Frauen, die gerade auf sie zukamen und sich leise unterhielten. Revienna senkte den Blick.
„Firun Bi!“ Wesanka lächelte das Mädchen an und führte die Hand im ritterlichen Gruße zum Herzen, was Lleara-Dhana ein Grinsen entlockte, die es ihr gleich getan hatte. „Ja, auch Jahre außerhalb Moosgrunds können diesen Gruß nicht mehr austreiben.“ Revienna nickte den beiden zu: „Die guten Götter zum Gruße, die hohen Damen. Hochwohlgeboren, meinen Glückwunsch zu Eurer Leite.“ „Meinen Dank, Frau von Gobiansforst. Aber stillt unsere Neugier. So, wie Ihr zur Gräfin Balihos, der Falkin des Nordens hinüberblickt, so vermuten wir, dass Eure Mutter gedenkt Euch in die Knappenschaft nach Moosgrund zu geben. Liegen wir da falsch?“ Revienna atmete hörbar angespannt aus. „Ist das so offensichtlich? Ich muss gestehen, ich bin so aufgeregt. Man hat ja so viel über Frau Ardariel gehört ...“ Wesanka und Lleara-Dhana warfen sich einen amüsierten Blick zu. „Und man hat vermutlich nicht übertrieben“, hielt die Ilsurer Baronin lapidar fest. „Aber sorgt Euch nicht zu sehr, Frau Ardariel ist eine gute Schwertmutter. Sie schont sich weit weniger als ihre Knappinnen.“ „Du Witzbold ...“ Wesanka grinste.
Die drei wandten sich um und blickten zu Ardariel Nordfalk hinüber, die ihren Blick mit einem belustigten Lächeln erwiderte und ihnen leicht zunickte. „Das ist unheimlich, sie weiß immer noch ganz genau wo wir sind, Wesanka.“ „Kein Wunder, wir wissen ja auch noch immer ganz genau wo sie ist. Das hat uns mehr als einmal das Leben gerettet, wenn Sturmrufer in unserem Rücken war.“ „Allerdings. Ihr hoher Vater muss diese Gabe auch besessen haben.“ Der Blick der beiden Ritterinnen fiel auf die baldige Knappin, dann grinste Wesanka. „Lasst mich mal einen Vorschlag machen – wenn Ihr den Schwur geleistet habt, dann würde ich Euch gerne das Du anbieten. Dann sind wir ja quasi Schwertschwestern, was meint Ihr? Lleara?“ „Ich bin dabei, Wesanka. Was sagt Ihr, Gobiansforst?“ Das Grinsen der beiden Frauen wirkte ansteckend und Revienna nickte begeistert. „Sehr gerne, hohe Damen, es wäre mir eine absolute Ehre!“ Wesanka wandte kurz den Kopf und sah, dass Ardariel Nordfalk der tobrischen Kanzlerin die Hand bot, in die diese mit einem breiten Grinsen einschlug. „Dann ist das also eine ausgemachte Sache … Revienna. Kann sich ja nur noch um Augenblicke handeln, da dachte ich, ich über schon mal.“
Wesanka trat beiseite und Lleara-Dhana tat es ihr gleich, so dass Ardariel Nordfalk zwischen ihnen hindurch schreiten konnte. „Ihr habt den Schalk doch schon wieder im Nacken sitzen, ihr beiden. Setzt der jungen Dame bloß keine Flausen in den Kopf, ich muss das wieder ausbügeln.“
Dann wandte sich die hochgewachsene Gräfin Balihos der jungen Tobrierin zu und ihr Gesicht wurde ernst. „Eure Mutter und ich sind übereingekommen, dass ich Euch als meine Knappin annehmen werde. Seid Ihr damit aus freiem Willen einverstanden?“ Sichtlich vom selbstsicheren Auftreten der Gräfin eingeschüchtert, senkte Revienna den Blick und nickte stumm.
„Seht mich an und lasst es mich vernehmlich hören, Gobiansforst!“ Revienna blickte in die blitzenden braunen Augen der Gräfin und antwortete: „Nichts wünsche ich mir mehr, Hochwohlgeboren.“ „Gut getan. Dann, Revienna aus dem Hause Gobiansforst, knie nieder.“ Revienna tat, wie ihr geheißen und senkte das Haupt. Ihre Mutter war hinter sie getreten und legte ihre Hand auf die Schulter ihrer Tochter, ein stolzes Lächeln auf dem Antlitz. Ardariel reichte ihren Zweihänder Wesanka, die ihn hoch über die Gräfin und das kniende Mädchen hielt.
„Die Kanzlerin Tobriens, die Baronin von Ilsur und die Ritterin von Korswandt seien unsere Zeuginnen.“ Ardariel zog aus ihrem Schwertgurt einen kostbaren Dolch und sprach weiter. „Vor allen guten Göttern und den Drachen von Alveran. Ich, Ardariel aus dem Hause Nordfalk, die Gräfin Balihos, Baronin Moosgrunds und gegürtete Ritterin nehme Dich, Revienna als meine Knappin an. Ich schwöre bei allen Zwölfen, die Herrin Rondra ihnen voran, dich zu schützen wie mein Eigen, bis du es selbst vermagst und dich alle Tugenden und Fertigkeiten zu lehren, die eine Ritterin bedarf, um die Schwachen zu schützen und dem Bösen zu trotzen: Es seien vorrangig Gerechtigkeit, Mut, Geduld, Barmherzigkeit, Frömmigkeit, Weisheit, Demut, Hoffnung, Selbstbeherrschung, Mäßigkeit, Beständigkeit und Minniglichkeit, so wie es uns die Zwölfeinigkeit gebietet. Du hingegen wirst mir Gehorsam schwören und geloben alles so gut zu lernen, wie du es vermagst.“
Revienna hob den Kopf und blickte die Gräfin an. „Вei allen Zwölfen schwöre ich Euch, als meiner Schwertmutter, Gehorsam und ich gelobe feierlich mich jeder Eurer Lektionen mit voller Hingabe zu stellen.“ Die Falkin des Nordens nickte feierlich und ritzte sich mit dem Dolch ihren Schwurfinger und lies einen Tropfen Blut zu Boden fallen.
„Dann gehorche mir zum ersten Mal. Unser Schwur soll uns binden, bei unserem Blute, das wir in Rondras Namen geben, um zu dienen und zu schützen. Reiche mir die Schwerthand.“ Revienna tat ohne zu zögern, was die Gräfin verlangte, die nun den Schwurfinger ihrer Schwerthand ebenfalls ritzte, bis ein Blutstropfen hervorquoll. Dann zog sie das Mädchen mit einer kräftigen Bewegung auf die Beine. „So sei es, im Namen der Zwölfe! Bezeugt und geschworen. Und nun mein erster Auftrag an meine neue Knappin.“
Revienna blickte die Gräfin erwartungsvoll an, während Wesanka Ardariel Sturmrufer zurückreichte. Sie tauschte einen wissenden Blick mit Lleara-Dhana aus. „Geh und beschaffe Dir einen brauchbaren Dolch, mit dem Essmesser da kannst du nicht mal einen wildgewordenen Bosparaniel verscheuchen.“ Ardariel lachte und warf den Kopf nach hinten.
Die tobrische Kanzlerin Liannen blickte betreten zur Seite, nahm dann lächelnd den Langdolch von ihrem Gürtel und reichte ihn ihrer Tochter. „Das war dann wohl mein Fehler. Nimm dieses treue Stück, damit es dich in den Auenlanden am Pandlaril an mich erinnert und damit du so wehrhaft wirst, wie deine Schwertmutter es von dir wünscht.“ Die Kanzlerin und die Gräfin nickten einander zu und verabschiedeten sich von den drei jungen Frauen, um sich unter die anderen anwesenden Hochadligen zu mischen.
Wesanka und Lleara-Dhana klopften der Gobiansforsterin auf die Schultern. „Gute gemacht, Revienna, dann bist du jetzt also eine von uns. Hab' ich ja gesagt, dass es nicht lange dauern würde.“ Wesanka zwinkerte der frisch gebackenen Knappin zu. Auch Lleara-Dhana grinste: „Wenn die uns dann mal nicht in Bälde die Küken der Falkin nennen werden – au warte, ich kann es schon fast hören.“
Die drei begannen fröhlich zu lachen.